Nachbericht zur Tagung „Die Fassung bewahren“

Ein Bericht zur Tagung „DIE FASSUNG BEWAHREN - Konservierung und Restaurierung polychromer Bildwerke / KEEP COLOR — KEEP COOL: Conservation and restoration of polychrome sculpture“ Vom 22. bis 24. März […]

Ein Bericht zur Tagung „DIE FASSUNG BEWAHREN - Konservierung und Restaurierung polychromer Bildwerke / KEEP COLOR — KEEP COOL: Conservation and restoration of polychrome sculpture“

Vom 22. bis 24. März 2019 richtete die Fachgruppe Polychrome Bildwerke des VDR mit Unterstützung der Technischen Universität München eine lang gewünschte Tagung aus. Etwa 150 Teilnehmer und Referenten trafen sich in Garching bei München, um sich über Herausforderungen beim Erhalt von Oberflächen polychrom gefasster Bildwerke auszutauschen. An zwei Tagen gewährten Kollegen aus insgesamt zehn Ländern mit 21 deutsch- und englischsprachigen Vorträgen und sieben Postern Einblicke in ihre Arbeit. Der dritte Tag schloss mit einer Führung durch ein Kleinod Münchens – das herzögliche Georgianum – die Tagung ab.

Thema der Tagung waren die restauratorischen Fragestellungen zum Umgang mit beschädigten Oberflächenstrukturen oder einer veränderten Farbigkeit polychromer Bildwerke. So unterschiedlich die Materialien und Zeitstellung der Kunstwerke waren, gemeinsam ist allen die Kombination aus dreidimensionaler Form und farbiger Oberfläche. Diese wiederum bestimmen die Zielsetzung, das Konzept und die technische Umsetzung der Konservierung/ Restaurierung.
Mit den Tagungsbeiträgen sollten verschiedenen Fragen nachgegangen werden: Wie verläuft derzeit der Entscheidungsprozess und welche Maßnahmen kommen zur Durchführung? Welche Erwartungen werden an das restaurierte Objekt gestellt? Welche Faktoren bestimmen die Restaurierung und haben sich diese in den letzten Jahrzehnten gewandelt? Wie gehen wir mit früheren Restaurierungsmaßnahmen um?

Schlaglichter: Von der Theorie zur Praxis

Nach einer Begrüßung durch Patrizia Brozio als Vertreterin des Verbands der Restauratoren (VDR) und Prof. Thomas Danzl als Vertreter des neu besetzten Lehrstuhls für Restaurierung an der Technischen Universität München (TUM) gaben die Vorträge von Andreas Huth und Francesca Tonini grundlegenden Überlegungen zur Wertung von Fassungen und zur Ausführung der Restaurierung polychromer Bildwerke. Restauriergeschichtlich relevante Aspekte zum Umgang mit Fassungen, Patinierungen und Überarbeitungen führten die Beiträge von Annett Xenia Schulz und Daniela Karl deutlich vor Augen. Hier war unschwer zu erkennen, dass im 19. und 20. Jahrhundert im Bereich der musealen und kirchlichen Denkmalpflege ästhetische Neuinterpretationen nicht unüblich waren. Den Schwerpunkt auf die Reinigung und Freilegung von Fassungsoberflächen setzten Valentina Pavlic, Sahar Ahmadinezhad und Annette Loeffel/Cornelia Marinowitz, wobei das von letzteren vorgestellte Beispiel aus dem Berner Münster aufgrund seines ursprünglichen und unveränderten Erhaltungszustandes einen selten geringen Eingriff erforderte. Die Freilegung der Straubschen Figuren aus Slovenien zeigte die andere Seite des möglichen Spektrums. Im vierten Block lag der Schwerpunkt auf der gegenteiligen Prozedur: das (partielle) Überfassen bzw. die Fassungsrekonstruktion. Exemplarisch belegen die Beiträge von Ulrike Palm und Boris Frohberg die aktuelle Zurückhaltung mit Überfassung. Lediglich bereits überarbeitete oder stark beschädigte Partien erhielten eine sorgfältig konzipierte Neugestaltung, um einen einheitlichen Gesamteindruck zu ermöglichen. Mirela Faldey zeigte mit einer Marienskulptur aus Graubünden ein eindrückliches Beispiel der „externen“ Fassungsrekonstruktion, um zugleich der ursprünglichen Oberfläche nahe zu kommen, ohne die Geschichte des Originals zu verändern.

Überblick: Gesamtmaßnahmen

Am zweiten Tag stellten Kollegen Gesamtmaßnahmen von der Konzeptfindung bis zur Durchführung vor:
Daniela und Thorsten Arnold berichteten von den romanischen Chorschranken der Halberstädter Liebfrauenkirche, die insbesondere durch den Eintrag von Kunststoffen zur Fassungsfestigung während der vorherigen Restaurierung erhebliche Veränderungen aufwiesen. Aus dem Dom zu Halberstadt stammen die gotischen Chorpfeilerfiguren, die Judith Hartung und Anna Steyer in ihren Masterarbeiten untersuchten und Konzepte zur Reinigung und Festigung erstellten und umsetzten. Johannes Jacob stellte die Arbeiten an einer weiteren Steinskulptur vor, der Madonna aus der Minoritenkirche in Wien, die auch nach der Bearbeitung deutlich die Spuren ihrer Geschichte zeigt. Eliza Reichel führte zu den grundlegenden Gedanken und dem Entscheidungsprozess der Fehlstellenintegration an der Goldenen Tafel aus Hannover ein. Ihre Kollegin Gabriele Schwartz schilderte anschließend das Schicksal und die Bearbeitung von zwei kleineren Skulpturen des Retabels im Detail vor. Madara Rasina und Tuna Krage zeigten mit einer littauischen Madonna ein weiteres Beispiel einer aussergewöhnlichen Skulptur, die im gealterten Zustand aber in neuer Umgebung erhalten wird.

Wie stark der Auftraggeber auf die Restaurierungsmaßnahmen Einfluss nimmt und wie ein Restaurator teils dipolmatisches Geschick beweisen muss, führte der Vortrag von Eva Tasch eindrucksvoll vor Augen. Teils im musealen, teils im kirchlichen Umfeld bewahrt, nahmen Schrein und Predella völlig unterschiedliche Werdegänge und erforderten dennoch ein Kozept, dass eine (zukünftige) gemeinsame Präsentation nicht ausschließt. Von einem außergewöhnlichen Fund berichtete Hans Portsteffen. Ein Kruzifix einer barocken Kirche auf einer kroatischen Insel erwies sich als mexikanischen Urspungs und stellte mit einer Freilegung und teilweisen Rekonstruktion ein langwieriges Projekt dar, das nicht nur sehr lehrreich für die beteiligten Stundenten war. Einen Einblick in die indische Konservierungswissenschaft ermöglichte uns Merrin Anil. Eine stark beschädigte Skulptur wurde nach zahlreichen Versuchen zur technischen Umsetzbarkeit der Konservierung umfassend restauriert. Die Herausforderungen brandgeschädigter Kunstwerke vom Gesundheitsschutz bis zur Frage nach Rekonstruktion/Ergänzung und der Akzeptanz von Verlusten zeigte Imogen Grönninger anhand der Ausstattung des Klosters Maria Medingen nach dem verheerenden Brand 2015 auf.
Alexandra Czarnecki nutzte die Gelegenheit, um dem Auditorium ein laufendes Projekt vorzustellen: die Untersuchung und folgende Restaurierung von Schadows „Prinzessinnengruppe“ in Berlin. Der Vortrag mündete in eine angeregte Diskussion und beschloss den zweiten Tagungstag.

Das Herzögliche Georgianum

Am Sonntag wurde als besonderes Schmankerl und Abschluss der Tagung ein Besuch des Herzöglichen Georgianums in München angeboten. Die Sammlung ist nicht öffentlich zugänglich zugänglich und sonntags gar nicht, weswegen wir einen besonderen Dank an Dr. Claudius Stein aussprechen, der uns nicht nur den Zutritt ermöglichte, sondern auch einleitend die Entstehungsgeschichte und die aktuelle Situation der Sammlung vorstellte. Anschließend berichtete Ulrike Merz von der Freilegung einer mittelalterlichen Madonna, bevor die Teilnehmer die Sammlung besichtigen konnten. Hier wurde einführend auf besondere Aspekte wie Restaurierungsgeschichte und Erhaltungszustand hingewiesen. Anschließend gab es die Möglichkeit, in kleineren Gruppen durch die Ausstellung zu gehen und einzelne Skulpturen oder Sammlungsaspekte zu diskutieren.

Was bleibt?

In den drei Tagen erhielten die Teilnehmer zahlreiche Impulse und Anregungen. Einiges war davon sicher bekannt und erwartet, anderes war wiederum überraschend und verleitet, neue Ansätze in den eigenen Arbeitsalltag aufzunehmen. So stellte sich zum Beispiel häufig die Frage, wie mit Schmutz, Patina, Überzügen, Überfassungen etc. umgegangen wird. Belassen oder abnehmen? In der Regel besteht der Wunsch, möglichst vergleichbar, einheitlich und systematisch vorzugehen. Doch die Realtität zeigt eine deutliche Mehrzahl von individuellen Einzelentscheidungen. Hierbei wiederum war jedoch zu bemerken, dass häufig (verdunkelte) Überzüge/Patina abgenommen wurden, meist aus ästehtischen, aber auch aus konservatorischen Gründen. Beeindruckend war dabei der Erhalt schwarzer Krusten im Gesicht einer Madonna aus Lettland, deren geschädigter Zustand aufgrund ihrer exzeptionellen Stellung problemlos akzeptiert werden konnte.

Veränderte Oberflächen führen nicht selten zu einer Retusche oder (Teil-)Überfassung von nicht mehr originalen Fassungspartien. Das Ziel der Retusche allgemein ist in Deutschland meist noch immer ein gepflegter, gealterter Zustand, bei dem durchaus auch Fehlstellen in gewissem Umfang akzeptiert werden können. Vielmehr wird zu neu, hell oder leuchtend fast immer abgelehnt, was nicht nur die Retusche, sondern auch die Reinigung betrifft. Auch hier zeigte ein Beispiel aus dem Ausland einen spannenden Kontrast: Eine Figur aus dem Garten eines indischen Ministers erhielt nach systematischer Konzeptfindung zur technischen Umsetzung eine Neufassung für die „perfekte“ Oberfläche, die anscheinend unabhängig von der ursprünglichen Oberflächenbeschaffenheit auf eine möglichst haltbare Fassung abzielte, um den Kunstwert unter ungünstigsten Aufstellungsbedingungen für die Zukunft zu erhalten.

Interessant war auch das Spektrum, wie mit Erkenntnissen zur originalen Farbigkeit umgegangen werden kann: Großteils wird das Wissen schriftlich/bildlich dokumentiert. Manchmal kommt die ursprüngliche Farbigkeit aber auch mit einer tiefgreifenden Reinigung zum Vorschein oder wird nach gründlicher Entscheidungsfindung freigelegt. Immer öfter anzutreffen ist die Fassungsrekonstruktion oder Visualisierung außerhalb des Kunstwerkes, z. B. an einer Kopie oder einem digitalen Modell.

Die sehr unterschiedlichen Beiträge zeigten letztendlich eine Gemeisamkeit, die Eliza Reichel wunderbar formulierte: Im Sinne der Wissenschaftlichkeit streben wir gern eine Systematik an. Doch ist die Systematik nicht, wie oft angenommen und auch angestrebt, in der Ausführung zu suchen, sondern in der erzielten Wirkung. Hierdurch können wir den künstlerischen Wert der Fassung bewahren und die Geschichte der einzelnen Fassungen wertschätzen.

Wie geht es weiter?

Wie schon im Vorfeld der Tagung erwartet, erhielten wir nicht nur Antworten, sondern auch zahlreiche Fragestellungen. Ist der Unterschied im Umgang mit den Fassungen in Museen und Kirche rechtens? Brauchen wir überhaupt noch die theoretischen Grundlagen, wenn so häufig alles über den Haufen geworfen wird? Inwieweit darf die endgültige Entscheidung beim Besitzer/Nutzer liegen, oder ist der Restaurator dank seines Fachwissens immer verpflichtet, neben der technischen Umsetzung auch die inhaltliche Zielstellung stärker mitzuformulieren? Ab wann erhält auch eine künstliche Patina einen Wert? Derartige Fragen sollten in weiteren Veranstaltungen behandelt werden. Die aktuelle Veranstaltung wollte einen Anstoß geben, sich wieder intensiver über den Erhalt polychromer Bildwerke im größeren Rahmen auszutauschen. Weitere Tagungen hierzu wären wünschenswert. Da auch die Diskussion in kleinen Gruppen bekanntermaßen sehr fruchtbar ist, möchte die Fachgruppe den Verbandsmitgliedern weitere Exkursionen zur Thematik anbieten. So geht es voraussichtlich im Herbst mit einer Exkursion nach Berlin, um das von Frau Czarnecki vorgestellte Projekt zur „Prinzessinengruppe“ von Schadow vor Ort kennen zu lernen und die in Garching begonnene Diskussion fortzuführen und zu vertiefen.

Cornelia Saffarian, Tino Simon, Catharina Blänsdorf
Garching b. München, 02.05.2019

Alle Fotos: Patricia Brozio, VDR-Geschäftsstelle