Begrüßung und Eröffnung durch den Präsidenten des VDR – Quo vadis Restaurierung?

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Im Namen des Präsidiums, des Vorstands und der Geschäftsstelle unseres Verbandes begrüße ich Sie recht herzlich hier im Festsaal des Hygienemuseums […]


Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Im Namen des Präsidiums, des Vorstands und der Geschäftsstelle unseres Verbandes begrüße ich Sie recht herzlich hier im Festsaal des Hygienemuseums in Dresden zu unserer Festveranstaltung anlässlich des 10. Jahrestags der Fusion von ehemals insgesamt sieben, unabhängig voneinander agierenden Einzelverbänden zu unserem heutigen Bundesverband der Restauratoren VDR. Als Präsident des Verbandes der Restauratoren ist es mir eine besondere Freude, unseren Festredner, Herrn Prof. Dr. Wolfgang Wolters, begrüßen zu dürfen. Die heutige Veranstaltung steht unter dem Motto „Quo vadis – Restaurierung“. Entsprechend wird sich das Vortragsprogramm mit einem Rückblick auf die Entwicklung während der letzten 10 Jahre, dem heutigen Stand der Dinge und den zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten unseres Berufsverbandes beschäftigen.

Blicken wir kurz zurück in die 1980er Jahre

als sich die Debatten zum Berufsbild und zur akademischen Berufsausbildung von Restauratoren intensivierten (ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an das so genannte „rosa Papier“). In fast allen Fachbereichen waren viele seit Generationen bedenkenlos angewandte Konservierungsmethoden plötzlich in Verruf geraten. Ein völlig neues restauratorisches Problembewusstsein erforderte zwingend die Ausbildung auf Hochschulniveau und demzufolge auch eine Präzisierung des Berufsbildes: Man war sich einig, dass nur ein speziell qualifizierter und gut ausgebildeter Restaurator, eine speziell qualifizierte und gut ausgebildete Restauratorin, überhaupt noch in der Lage war, hochkomplexe Restaurierungsaufgaben zu erfassen und angemessen zu bewältigen. Der Restaurator sollte über breit gefächerte Kenntnisse verfügen, um das Kunst- und Kulturgut in der Vielschichtigkeit seiner gesamten phänomenologischen Existenz bewerten und bearbeiten zu können. Man verlangte vom Restaurator ferner, die einzelnen Schritte nicht nur theoretisch zu durchdringen und praktisch zu beherrschen, sondern auch eigenverantwortlich und weisungsunabhängig über sie entscheiden zu können. Da die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse nur in Teilbereichen erfassbar waren, gehörte die Spezialisierung des Restaurators für eine bestimmte Gattung unserer Kunst- und Kulturgüter bald zum Nachweis einer besonderen beruflichen Qualifikation.

Während in der ehemaligen DDR bereits in den späten 1970er Jahren eine gesetzliche Verankerung dieses neuen Berufsbildes erfolgte, wurden derartige Forderungen seitens der politischen Entscheidungsträger in den alten Bundesländern stets abgelehnt. Nach der Wiedervereinigung konnte zunächst einzig im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ein derartiges Berufstitelschutzgesetz für Restauratoren erhalten werden.

Sämtliche Vorstöße seitens der Berufsverbände in der Folgezeit, auf Länderebene gesetzliche Regelungen zum Berufstitelschutz für Restauratoren zu erzielen, waren rückblickend aus folgenden Gründen nicht erfolgreich: Der Prozess der Professionalisierung des Restauratorenberufs verlief in der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt. Nach wie vor war das in den 1950er und 1960er Jahren gültige Berufsbild mit einer ausschließlich praktischen, „handwerklich-künstlerischen“ Tätigkeit in der Öffentlichkeit und bei den politischen Entscheidungsträgern vorherrschend und ist es zum Teil leider auch heute noch!

Bereits im Vorfeld der europaweiten Deregulierungsbemühungen war die Ideologie eines Marktliberalismus mit den Begriffen Globalisierung, Liberalisierung und Deregulierung maßgebend. Sämtliche Vorstöße zu einem gesetzlichen Berufsschutz für Restauratoren wurden mit dem Verweis auf den freien Markt als Steuerungsinstrument abgewiesen. Gleichzeitig wurden die Einzelverbände in der Vielfalt ihrer Vertreter und deren teilweise unterschiedlicher Argumentationsweise als Ansprechpartner der Politik nicht wahrgenommen.

Mit der Gründung unseres europäischen Dachverbandes E.C.C.O im Jahr 1991 und dem Europäischen Netzwerk der Hochschulen mit Restauratorenausbildung (ENCoRE) im Jahr 1997 wurde der Versuch unternommen, die Umsetzung der bildungs- und berufspolitischen Ziele der Restauratoren auf die europäische Ebene zu verlagern. Innerhalb dieses internationalen Netzwerks hatte Deutschland aufgrund seines qualitativ und quantitativ gut ausgebauten Ausbildungsangebots auf Hochschulebene eine Sonderstellung. Die Krönung dieser positiven Entwicklung war die Verleihung des Promotionsrechts an die Hochschulen in Dresden, München und Stuttgart im Jahr 2001. Mit dem Promotionsrecht wurde unser Fachbereich „Konservierung und Restaurierung von Kunst- und Kulturgut“ gleichsam als eigenständige wissenschaftliche Disziplin seitens der jeweiligen Wissenschaftsministerien anerkannt. Wir können mit Stolz auf diese Entwicklung zurückblicken. Wir hatten innerhalb zweier Jahrzehnte unglaublich viel erreicht.

Mit der Fusion der unterschiedlichen Verbände zu einer bundesweiten Organisation im April 2001 glaubte man mehr politisches Gewicht zur Umsetzung der berufspolitischen Ziele zu erlangen. Prof. Ivo Mohrmann wird heute Nachmittag in seinem Vortrag mit dem märchenhaften Titel „Sieben auf einen Streich“ näher auf diesen Zeitabschnitt und die Entstehungsgeschichte unseres Verbandes eingehen.

Praktisch gleichzeitig mit der Fusion wurde seitens der Bildungspolitik der so genannte „Bologna-Prozess“ mit dem zweistufigen Bachelor/Master System und dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss Bachelor als Regelabschluss festgeschrieben und schrittweise, zum Teil sehr restriktiv, in die bundesdeutsche Hochschullandschaft implantiert. Die Bildungspolitik förderte damit gezielt die Einführung sowohl von Kurzzeitstudiengängen auf Bachelorniveau als auch von nicht konsekutiven Aufbaustudiengängen im Fachbereich Konservierung und Restaurierung auf Masterniveau, welche jeweils die Voraussetzung für eine eigenverantwortliche und weisungsunabhängige Tätigkeit an historischem Kunst- und Kulturgut gemäß den europäischen Vorgaben unseres europäischen Dachverbandes E.C.C.O nicht erfüllen konnten.
Diese völlig neue Situation führte innerhalb unseres noch jungen Bundesverbandes zu einer inneren Zerreißprobe. Die Gefahr bestand, dass die neu geschaffenen Bachelor-Absolventen mit einer unzureichenden beruflichen Qualifikation in dem völlig ungeschützten Arbeitsfeld zunehmend die Existenzgrundlage der hervorragend ausgebildeten Restauratoren bedrohen könnten. Gleichzeitig wurde befürchtet, dass diese Bildungsreform bei einer zu restriktiven Umsetzung zu einer eklatanten Herabsetzung des bisher erreichten Qualitätsniveaus führen könnte. Seitens der politischen Entscheidungsträger wurde hinsichtlich dieser Befürchtungen überhaupt kein Handlungsbedarf gesehen und empfohlen, die gesamte berufs- und bildungspolitische Problematik doch einfach innerhalb des Berufsverbandes in Form eines Qualitätsmanagements selbst zu regulieren.

Die mehrjährige Diskussion innerhalb der Profession hat gezeigt, dass auch geringfügige, formalisierte, kollegiale Kontroll- und Steuersysteme professioneller Tätigkeit in Form eines Gütesiegels oder sonstiger Zertifizierungsmaßnahmen in ihrer Durchsetzung überaus problematisch sein können. Neben der Gefahr einer Überregulierung und eines finanziellen Mehraufwands für jedes einzelne Mitglied ist auch die Ausübung von Sanktionen gegenüber Kollegen, die professionelle Qualitätsstandards nicht einhalten, kraft einzelner Autoritäten innerhalb des Verbandes nicht gerechtfertigt und auch nicht durchsetzbar. In einer Körperschaft des privaten Rechts (Verein/Verband) zeigt der Ausschluss aus dem Verband auf einen völlig ungeschützten Arbeitsmarkt keinerlei Auswirkungen. Somit verpuffen mögliche Sanktionen wirkungslos. Solange auf dem Arbeitsmarkt gemäß der derzeit gängigen Praxis in der Regel das kostengünstigste Angebot den Zuschlag bekommt, spielen berufliche Qualifikation oder eine besondere Zertifizierung durch den Berufsverband keinerlei Rolle.

2. Wo stehen wir heute?
Wir haben diese innere Zerreißprobe relativ gut überstanden. Die Grabenkämpfe sind beendet und unser Verband ist heute wieder quicklebendig und handlungsfähig. Mein Dank gilt den vielen engagierten Vorstandsmitgliedern, meinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern im Präsidium und besonders unserer Geschäftsführerin, Frau Katharina Trifterer, und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Geschäftsstelle, die diesen Genesungsprozess maßgeblich mitgestaltet haben. Heute sind sowohl die Ordentliche Mitgliedschaft in unserem Berufsverband als auch die Listung in unserem Berufsregister als ein von außen klar und unmissverständlich wahrgenommenes Qualitätsmerkmal zu verstehen. Ich bin heute stolz darauf, Mitglied dieses Verbandes zu sein.

Parallel zu unserem eigenen Genesungsprozess hat sich auch die politische Großwetterlage seit Ausbruch der Finanzkrise verändert. Die jahrzehntelange „Basta“-Politik, das heißt die Ära des Regieren von oben herab ohne Bürgerbeteiligung, neigt sich allmählich dem Ende zu. Man ist wieder geneigt zuzuhören, man ist sozusagen wieder gesprächsbereit. Auch in den Reihen der Ökonomen werden Marktversagen und die Grenzen der Steuerung durch den freien Markt neuerdings diskutiert. Eine neue „neoliberale“ Position deutet darauf hin, dass Eingriffe der Politik in den Markt nicht mehr von vorne herein und grundsätzlich auszuschließen sind. Unter diesem Aspekt wurde in Hinblick einer drohenden Abschaffung des damals einzigen Restauratorengesetzes in Mecklenburg-Vorpommern vor dem dortigen Wissenschaftsausschuss seitens unseres Verbandes argumentiert und darauf hingewiesen, dass das Verhältnis zwischen Regulierungsaufwand und Auswirkung auf die Qualitätssicherung und den Verbraucherschutz zugunsten einer Beibehaltung dieser Gesetzgebung spricht. Unserer Argumentation wurde entsprochen und die bestehende Gesetzgebung zum Berufstitelschutz konnte erhalten werden.

Fast nicht zu glauben, aber wahr. Unmittelbar im Anschluss an diesen Teilerfolg in Mecklenburg-Vorpommern hat im Februar dieses Jahres nun auch der Landtag von Sachsen-Anhalt mit großer Mehrheit den diesmal von CDU und SPD eingebrachten und von der LINKEN unterstützten Gesetzesantrag für ein bundesweit zweites „Restauratorengesetz“ verabschiedet. Wir bräuchten noch ein drittes und viertes Bundesland, um mit völlig neuen und dann auch berechtigten Forderungen auf Bundesebene vorstellig werden zu können. Herr Dr. Willi Oberlander und Prof. Dr. Hans-Peter Braune werden uns in ihren Vorträgen die Wichtigkeit dieser Landesgesetze erläutern und uns entsprechend der nunmehr veränderten Gesamtsituation neue Strategien für unsere zukünftige politische Arbeit aufzeigen.
Damit bin ich schon fast am Ende meiner Ausführungen und komme zu den zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten unseres Verbandes. Es wäre natürlich überaus unhöflich, wenn ich in meiner Begrüßungsrede bereits inhaltlich die Vorträge unserer Referenten Herrn Dr. Oberlander und Herrn Prof. Dr. Braune vorwegnehmen würde. Nein, das ist nicht meine Absicht. Gestatten Sie mir zum Ende meiner Einführung noch einige wenige, sehr persönlichen Gedanken zur Zukunft unseres Verbandes anzufügen:
Betrachte ich das enorme Wahrnehmungsdefizit unseres Berufsstands in der Öffentlichkeit und Politik, so haben wir uns diesen Umstand selbst zuzuschreiben. Dennoch sollten wir uns bewusst werden, dass dieses Wahrnehmungsdefizit überaus ambivalent ist. Einerseits haben wir aufgrund unserer beruflichen Tätigkeit ein hohes gesellschaftliches Ansehen und die Wichtigkeit des Erhalts unseres kulturellen Erbes hat auch einen enorm hohen politischen Stellenwert. Andererseits werden wir als Profession eher durch eine milchig-trüb diffuse Nebelwand wahrgenommen, deren Berufsbild irgendwann in den 1950er und 1960er Jahren im handwerklich-künstlerischen Bereich stecken geblieben ist. Wir selbst haben dieses enorme gesellschaftliche und politische Potential, welches unserem Berufsstand eigentlich gegeben ist, noch nicht erkannt – oder falls wir es erkannt haben, so haben wir es in der Vergangenheit nicht aus-reichend genutzt.

Zu lange galten Kultur und Wirtschaft gerade in Deutschland als unvereinbarer Gegensatz. Doch diese Berührungsängste lösen sich auf – glücklicherweise. Wir sehen unsere Tätigkeit in erster Linie im Schutz und in der Erhaltung des Kunst- und Kulturguts und vergessen dabei, dass unsere Tätigkeit nicht nur der Werterhaltung dient, sondern in beachtlichem Umfang gleichzeitig auch zur inländischen Wertschöpfung beiträgt. Denken Sie hier doch nur an die Tausenden von Touristen, die jährlich die Museen, Sammlungen, Schlösser und Gärten hier in Dresden bevölkern. Unser Berufsstand hat rein wirtschaftlich gesehen ein doppeltes Potential für unsere Gesellschaft. Daher fordere ich Sie alle auf, die unserem Berufsstand eigene vornehme Zurückhaltung und Bescheidenheit endlich aufzugeben und selbstbewusst auf die politischen Entscheidungsträger zuzugehen. Wir müssen unsere politische Lobbyarbeit vervielfachen. Ob diese anspruchsvolle Aufgabe zukünftig noch im Ehrenamt quasi nebenher als Freizeitbeschäftigung zu leisten sein wird, oder ob wir für diese Aufgabe kurzfristig tatsächlich professionelle Unterstützung benötigen, diese Frage sollten wir anlässlich unserer morgigen Mitgliederversammlung diskutieren.

Unser Verband darf nicht länger eine Ansammlung von Individualisten und Einzelkämpfern sein. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten brauchen wir vermehrt Solidarität, gegenseitige Rücksichtnahme und klare Zielvorstellungen – also einen starken, geeinten und handlungsfähigen Berufsverband. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.
Für heute freue ich mich auf spannende Vorträge, auf interessante Gespräche und Diskussionsbeiträge und einen regen Informationsfluss zwischen unseren geladenen Gästen und unseren Mitgliedern, wenn am späteren Nachmittag beim Empfang im Foyer endlich – und ich hoffe, Sie sind bis dahin nicht schon völlig müde und erschöpft – auf die 10 Jahre VDR angestoßen werden darf.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Prof. Dr. Volker Schaible