Am Rande der letzten VDR-Mitgliederversammlung in Köln im Herbst 2017 versammelten sich verschiedene Fachgruppen zu Arbeitsgesprächen. So auch die FG Wandmalerei/ Architekturoberflächen. In einem der Tagesordnungspunkte fragten wir nach Vorschlägen zur FG-Exkursion 2018. Und so wurde sie erstmals ausgesprochen, die Idee vom Besuch des Hauses Tugendhat, das im mährischen Brünn / Brno (Tschechien) steht und nicht nur unter Architekten weltweit bekannt ist. Die Villa Tugendhat wurde von 1929 bis 1930 nach Plänen des Architekten Mies van der Rohe als Wohnhaus für das Unternehmer-Ehepaar Fritz und Grete Tugendhat gebaut.
Unser Kollege Prof. Dr. Ivo Hammer/ Wien hat uns hierzu das sehr interessante Angebot gemacht, unter seiner fachkundigen Führung das Haus Tugendhat von 1930 (Architektur: Ludwig Mies van der Rohe, Innenarchitektur/ Garten: Lilly Reich) sowie andere Zeugnisse der Architektur der klassischen Moderne in Brünn zu besuchen. Ivo Hammer ist Experte und Kenner des Hauses Tugendhat. Er konzipierte und leitete von 2003-10 eine Kampagne zur konservierungswissenschaftlichen Untersuchung durch insgesamt acht Hochschulen und wissenschaftliche Institutionen aus vier Ländern. Er war 2010-2012 Vorsitzender des internationalen Expertenbeirates THICOM für die Fachaufsicht über die Umsetzung der denkmalgerechten Wiederherstellung des Hauses. Der restauratorisch-konservatorische Umgang mit Oberflächen und Materialien an einem historischen Gebäude dieses Architekturstils war für Planer und Macher gleichermaßen ein konfliktbeladenes Spannungsfeld. Davon konnten sich die Exkursionsteilnehmer ausführlich am Ort des Geschehens unterrichten lassen.
Am Sonntag, dem 22. Juli, reisten die Teilnehmer an und richteten sich im traditionsreichen Hotel „Slavia“ inmitten der Brünner Altstadt ein. Der Architekt Jan Sapak führte durch die Brünner Altstadt und leitete so in das Thema „Bauten der klassischen Moderne in Brünn“ ein. Als Lehrbeauftragter an der Fakultät für Architektur der Technischen Universität Brünn ist er Kenner der Materie und war unserer Exkursion ein kompetenter Partner. Anders als zunächst zu erwarten, gibt es erstaunlich viele „moderne“ Fassaden der 1920er und 1930er Jahre, die in den Altstadt-Gebäudebestand integriert sind und teilweise heftige Kontraste zur umgebenden historischen Fassadenarchitektur erzeugen.
Schwer ist es für Restauratoren, an der gotischen Hallenkirche St. Peter und Paul vorbeizugehen, auch wenn die Exkursion einen wesentlich jüngeren Architekturstil beleuchtete. Deshalb musste es den obligatorischen Abstecher ins Innere geben.
Das gemeinsame Abendessen im eleganten Jugendstil-Restaurant des Hotels Grandezza am Bauernmarkt war sehr wichtig und insofern als eigener Programmpunkt zu bewerten, denn er stand im Zeichen der intensiven Vorbereitung auf den inhaltlichen Schwerpunkt der Exkursion, den Besuch des Hauses Tugendhat am Montag, dem 23. Juli. Ivo Hammer ermöglichte tiefe Einblicke in die Baugeschichte des Hauses, die zu einem großen Teil auch die Geschichte seiner eigenen Familie ist – ein Umstand, der unserer Begegnung mit Ivo Hammer am historischen Ort eine ganz eigene, sehr besondere Note gab. Das intensive Gespräch zwischen den Exkursionsteilnehmern am Tisch in sehr angenehmer Atmosphäre, mit Bildern, Fachliteratur und immer wieder den architekturgeschichtlichen Ausführungen Ivo Hammers, lieferte durch die auch sehr persönliche, lebhaft wiedergegebene Familiengeschichte wertvolles Hintergrundwissen für den kommenden Tag.
Der „Absacker“ in der Hotellobby ist liebgewordene VDR-Exkursionstradition und zeigte, dass der Diskussionsstoff unter Kollegen unerschöpflich ist – wunderbar!
Montag, 23. Juli 2018
„Besondere Aspekte der Geschichte des Gebäudes sowie der Erhaltungsprinzipien und konservatorisch-restauratorischer Grundsätze unter Berücksichtigung nutzerspezifischer Anforderungen“ – ein zugegeben sperriger Titel, den wir unserer Vormittagsführung im Haus Tugendhat gegeben hatten. Gleichwohl enthielt er die wichtigen Fragen und das Problempotenzial, das die jüngste Restaurierung von 2010 bis 2012 beinhaltete.
Seit März 2012 ist das Haus wieder für das Publikum geöffnet: dienstags bis sonntags, mit Führungen zur vollen Stunde – tschechisch, deutsch, englisch. Wir hatten es einen Vormittag lang „für uns allein“. Danke, Ivo Hammer!
Das Haus präsentierte sich erstaunlich „neu“, als wäre es eben erst erbaut. Alles wirkt homogen – es ist schwer oder nicht zu erkennen, was Original und was Nachbildung ist. Von der teils dramatischen Geschichte, die die Villa Tugendhat während ihres über 80-jährigen Bestehens durchlaufen hat, sind nur mehr wenige Spuren zu erkennen. Gleich nach der Vertreibung der jüdischen Bauherren setzten unaufhaltsam die Überformung und Verunklärung der Architektur ein. Kein Ende damit auch, als der Bau in den 1980er Jahren durch den tschechoslowakischen Staat instandgesetzt wurde. Dabei schlug man originale Fliesen ab, strich das Gebäude mit weißer Dispersionsfarbe an, zerstörte auch die letzte noch erhaltene 15 Quadratmeter große Panoramaglasscheibe, die in den Boden des Wohnzimmers versenkbar war.
Wer das Haus von früher kennt, ist überrascht, denn seine Fassade ist nicht mehr weiß. Der neue Kalkanstrich ist mit Feinsanden versetzt, sodass eine leicht gelbliche Färbung entsteht. Auch im Inneren sind die Wände nicht mehr schneeweiß. Das liegt an einem sehr fein geschliffenen Kalkmörtel ohne Anstrich, dessen Eigenfarbe durch die optische Mischung seiner farbigen Zuschläge bestimmt wird. Sicher, das war die ursprüngliche Intention des Architekten, aber eben auch hier eine (qualitätvolle) Rekonstruktion. Im weitläufigen Wohnzimmer, dem Höhepunkt der Raumkomposition, stehen kräftig-grüne Barcelona-Sessel. Die Originale stehen heute im Archiv des Museums der Stadt Brünn. Im Gegensatz zu diesen auch auf Mies’ Partnerin Lilly Reich zurückzuführenden Farben der Möbel und Textilien wird beim Gebäude selbst nur die Farbigkeit der Materialien zur Wirkung gebracht. „Materiality“ – so heißt auch die gleichnamige Publikation, die im Ergebnis der Restaurierungskampagne erschienen ist.
Mies’ Neigung zur Präzision der Detaillierung zeichnet auch die jüngste Renovierung bzw. Rekonstruktion aus. Die zerstörten Bäder wurden auf der Basis historischer Schwarzweiß-Aufnahmen nachgebildet. Gleiches ist von den Waschbecken, Wasserhähnen und Lichtschaltern zu sagen, die man detailgenau rekonstruierte. Sämtliche Möbel sind rekonstruiert. Die große Akribie bei der Ausführung führt dazu, dass die Besucher meinen, nun das Haus zum Zeitpunkt der Schlüsselübergabe betrachten zu können.
Leider fehlt die originale (weiße) Skulptur von Wilhelm Lehmbruck – sie wurde vor wenigen Jahren durch einen Bronze-Nachguß ersetzt. Nicht schlecht – aber eben auch wieder eine Nachbildung. Es wäre wünschenswert, die noch erhaltenen originalen Möbel wieder zusammenzutragen und am authentischen Ort aufzustellen.
Die jüngste fast sieben Millionen Euro teure Sanierung wurde zu über 80 Prozent von der EU finanziert. Schon im Vorfeld und auf Betreiben Ivo Hammers hin hatte eine privat gesponserte konservierungswissenschaftliche Untersuchung unter Leitung von Ivo Hammer die Materialität erforscht. Das Zusammenwirken von internationalen Spezialisten mit tschechischen Fachleuten ermöglichte die erfolgreiche Umsetzung dieses Restaurierungsvorhabens. Eine wesentliche Erkenntnis über Mies’ Werk ist die Genauigkeit, mit der er den jeweils spezifischen Materialcharakter herausgearbeitet hat. Auch die nun wieder erfahrbare Ausgewogenheit der Proportionen bis in die Details gehört zur neu gewonnenen Qualität.
Mit großer Neugierde waren wir nach Brünn gekommen. Wie restaurierte man nun den Mythos Haus Tugendhat? Es bleibt der unterschwellige Wunsch nach mehr an sichtbaren authentischen Oberflächen. Das kleine Stück Fassadenfläche auf der Terrasse, das Ivo Hammer als freigelegte Putzoberfläche aus der Bauzeit konservatorisch präparieren durfte, ist viel zu klein! Warum nicht mehr Didaktik im Sinne von Sehen, Bewerten und Verstehen? Verstehen, das sich mehr über Authentizität mit Urkundencharakter vermittelt. Die gefundene und zur Schau gestellte Ästhetik wirkt wie eine Behauptung der Macher, die durch den Rezipienten kaum in Frage gestellt werden kann (und soll?). Der eigene Vergleich mit erhaltener originaler Materialität ist am Tugendhat-Haus quasi nicht mehr möglich. Zu wenig davon wird präsentiert. Das ist schade, weil eigentlich sehr spannend.
Nach zweijähriger Bautätigkeit sind nun nicht nur die Wohnräume wieder zugänglich, sondern auch der rekonstruierte Garten und die Technikräume im Untergeschoss. Wir sehen dies als großen Gewinn nicht nur für die Brünner Kulturlandschaft, sondern für die ganze Welt. Und so trägt das Haus Tugendhat zu Recht den Titel einer UNESCO-Weltkulturerbestätte.
Auch während der verdienten Mittagspause im legendären Café ERA – erbaut 1927-29 von Architekt Josef Kranz - konnte erst jüngst wieder instandgesetztes klassischmodernes Ex- und Interieur besichtigt und die farbkräftige Wand- und Deckengestaltung diskutiert werden.
Der Nachmittag des letzten Exkursionstages gehörte einem Besuch des großen Brünner Ausstellungsgeländes. Es ist sehr besonders durch die Verbindung der ursprünglich funktionalistischen Architektur mit den gegenwärtigen Ausstellungs-, Messe- und Kulturaktivitäten. 1928 zum 10-jährigen Jubiläum der Gründung der Tschechoslowakei in Nutzung genommen, sind die Ausstellungsbauten der damals bedeutenden tschechischen Architekten selbst Ausstellungsstücke der funktionalistischen Architektur.
Wieder war es Ivo Hammers persönlichen connections zu verdanken, dass wir den Zugang erhielten und sogar das nicht öffentliche Kino mit Café (Architekt: Emil Kralik) eröffnet bekamen. „Lost places“, an denen Ivo Hammer und Kollegen – darunter auch Studierende aus Hildesheim – im Zuge des Tugendhat-Projektes komplementäre materialwissenschaftliche Untersuchungen durchführten, um die lokalen Handwerkstraditionen der Bauzeit studieren zu können.
Der größte Teil der Anlage wird nach wie vor für Messen genutzt. Sehr beeindruckend darunter die große Kongresshalle, der Pavillon Z – ein runder Bau mit 120 m Durchmesser und einer die gesamte Grundfläche überspannenden 46 Meter hohen Stahl-Aluminium-Kuppelkonstruktion. Parabelbögen fallen auf als die prägende Geometrie der Messehallen aus einer Zeit, die mit neuen Materialien und Konstruktionen mutig experimentierte. Vieles dieser Neuerungen ist in die heutige Architektursprache eingegangen. Manches musste verworfen werden, weil bautechnisch, bauphysikalisch oder energetisch nicht zukunftsträchtig. Die schönsten und progressivsten Entwürfe dieser Zeit aber wollen erhalten werden, und genutzt. Unter heutigen Nutzeranforderungen ist dies ein konfliktbeladenes Feld, auch und besonders aus konservatorischer Sicht. Das zeigten uns auch die besuchten Beispiele in Tschechien.
Die Sprecher der FG Wandmalerei/ Architekturoberflächen bedanken sich stellvertretend für die ganze Fachgruppe – besonders im Namen der Exkursionsteilnehmer – bei den Organisatoren und Akteuren der Exkursion, die ihre Zeit und Energie für die fachliche Fortbildung und berufliche Vernetzung der Kollegen des VDR einsetzten.
Namentlich nochmals ein besonders herzliches Dankeschön an Ivo Hammer, alles Gute und auf ein baldiges Wiedersehen.
Sven Taubert