Farbe im Raum

Fachexkursion des Verbandes der Restauratoren zu aktuellen Restaurierungsprojekten in Güstrow, Bad Doberan und Semlow in Mecklenburg-Vorpommern Vom Donnerstag, 26. Mai 2022, bis zum Sonntag, 29. Mai 2022, konnten sich die […]

Fachexkursion des Verbandes der Restauratoren zu aktuellen Restaurierungsprojekten in Güstrow, Bad Doberan und Semlow in Mecklenburg-Vorpommern

Vom Donnerstag, 26. Mai 2022, bis zum Sonntag, 29. Mai 2022, konnten sich die über 20 Teilnehmer:innen und insgesamt 17 Referent:innen an und vor allem in 15 Objekten im Norden Deutschlands an fachkundigen Erläuterungen erfreuen. Der Schwerpunkt lag in der Vorstellung von umfangreichen Restaurierungsvorhaben an Ausstattungen aus den letzten Jahren. Hier stand die Farbfassung in all ihren Varianten auf verschiedenen Trägern – Stein, Holz und Putz – im Vordergrund.

Begrüßung der Teilnehmenden und Grußwort des VDR-Präsidenten Sven Taubert. Links daneben: Organisator Boris Frohberg.(Foto: Sylvia Taubert, 2022)
Begrüßung der Teilnehmenden und Grußwort des VDR-Präsidenten Sven Taubert. Links daneben: Organisator Boris Frohberg.(Foto: Sylvia Taubert, 2022)

Tag 1 und 2 in Güstrow

Das umfassende und breitgefächerte Programm der Fachexkursion wurde durch den Dipl.-Rest. Boris Frohberg, auch VDR Mitglied, geplant und organisiert. Eröffnet und begleitet wurde die Exkursion vom Präsidenten des VDR, Dipl.-Rest. Sven Taubert.

Das Programm begann mit einer Besichtigung des frühbarocken Schlossgartens in Güstrow als Rekonstruktion der historischen Anlage und Ausführungen zum bedeutendsten, aber nie fertig gestellten Renaissanceschlossbau in Norddeutschland durch den Kunsthistoriker Dr. Dieter Pocher.
Diesem folgte eine noch kurzfristig ermöglichte Begehung der Dachstühle des Baus (derzeit Großbaustelle) durch den Bauforscher Dr. Tilo Schöfbeck und Dipl. Rest. Matthias Zahn, der die große Kampagne restauratorisch begleitet.

Dipl.-Rest. Matthias Zahn lenkt die Aufmerksamkeit auf historische Farbbefunde, die es im Dachraum gibt, weil auch hier gewohnt wurde – und zwar von Angestellten des Hofes oder von der Dienerschaft der logierenden Gäste des Hauses. (Foto: Sven Taubert, 2022)
Links Dr. Tilo Schöfbeck/ Bauforscher, rechts Matthias Zahn, Restaurator & Bauforscher erläutern das aktuelle Bauvorhaben zur Instandsetzung und Restaurierung des Güstrower Schlosses, der einstigen Residenz der Mecklenburgischen Herzöge. Es ist eines der bedeutendsten Renaissancebauwerke Norddeutschlands und – anders als das im 19. Jahrhundert historistisch veränderte Schweriner Schloss – weitgehend im Originalzustand erhalten. (Foto: Sven Taubert, 2022)

Beim anschließenden Spaziergang durch die Altstadt gab Dipl.-Rest. Ulrike Hahn Erläuterungen zur Farbuntersuchung an einem Renaissancegebäude, der Gleviner Straße Nr. 1, in dem August der Starke (Friedrich August I. Kurfürst von Sachsen und König von Polen) zu Waffenstillstandsverhandlungen im Großen Nordischen Krieg im Dezember 1712 residierte.
Zur langen Baugeschichte und der Restaurierung der polychrom bemalten Balkendecke im „Gotischen Haus“, Derzscher Hof, Mühlenstraße 48, erfuhren die Exkursionsteilnehmer:innen die fachlichen Hintergründe – ebenfalls von Dipl.-Rest. Ulrike Hahn, die hier die restauratorische Leitung innehatte.

Dipl.-Rest. Ulrike Hahn (links) erklärt die komplexe Befundlage an der Fassade des „August des Starken“. Rechts: Dr. Dieter Pocher. (Foto: Sven Taubert, 2022)
Hausschild zum „Derzschen Hof“

Die polychrom bemalte Renaissancedecke im Kemladen des gegenüberliegenden Gebäudes in der gleichen Straße weist ein interessantes ikonografisches Programm auf, das der Kunstwissenschaftler Dr. Carsten Neumann erläuterte, wobei er uns den Zugang zum Raum ermöglichen konnte. Zum Abschluss des Rundgangs schilderte Dipl.-Rest. Jan Hamann, Fachmann für Steinkonservierung, die Wiederherstellung des gewaltsam geschädigten Borwinbrunnen auf dem Güstrower Pferdemarkt.

Der zweite Exkursionstag begann mit einer Andacht und der Besichtigung des Innenraumes der Güstrower Pfarrkirche St. Marien. Hier stand die umfangreiche Restaurierung des bedeutenden Passionsaltars von 1522 aus der Brüsseler Jan-Borman-Werkstatt [1] mit Ausführungen von Dipl.-Rest. Thomas Max Merkel, der für die Pflege des wertvollen Retabels zuständig ist, im Vordergrund. Dr. Dieter Pocher ergänzte diese Schilderungen durch kunstwissenschaftliche Erklärungen.

[1] Jan Borreman der Ältere, auch Borremans oder Borman, (1479 bis 1520 in Brüssel): bedeutender flämischer Bildschnitzer der Spätgotik, dessen Werke nicht nur in Flandern selbst, sondern über Handelswege bis nach Norddeutschland und nach Skandinavien verbreitet wurden.

Gleichsam wurden die Exkursionsteilnehmer:innen Zeugen einer sehr seltenen Handlung am Altar-Retabel: seiner Wandlung, bei der alle künstlerisch gestalteten Oberflächen sichtbar wurden. Da sind die hochwertigen Tafelmalereien einerseits und die sehr detailreichen Figurenregister, die in außergewöhnlicher Feinheit und Tiefenstaffelung ausgeführt sind, zu bewundern.

Auf 13 Feldern mit 181 Figuren wird die Passions- und Ostergeschichte dargestellt. Nach dem Schließen der Altarflügel sieht man sechs Tafelgemälde von Bernaert van Orley aus Brüssel, je zwei Szenen aus dem Leben der Maria und der hl. Katharina sowie Petrus und Paulus. „Die Nähe zum Objekt“ ein Privileg der Restaurator:innen. (Foto: Sven Taubert, 2022)
Die Wandlung des Altares: Wir durften dabei sein … (Foto: Sven Taubert, 2022)

Im Anschluss daran folgte die Besichtigung des jüngst restaurierten Festsaales von 1788 in der Beletage eines unweit gelegenen barocken Bürgerhauses mit illusionistischer Architekturgliederung in römisch-antikisierendem Stil.

Ein Besuch im modern gestalteten Stadtmuseum ermöglichte einen Exkurs in die Geschichte der herzoglichen Residenzstadt. Kunsthistoriker Dr. Carsten Neumann ist seit 2021 der Leiter des Stadtmuseums und übernahm die Führung durch die sehenswerte und klug arrangierte Sammlung.
Bemerkenswert umfassend und detailreich recherchierte kunsthistorische Erläuterung zu den steinernen Wandbildwerken leistete Dr. Carsten Neumann - hier besonders hervorzuheben die Epitaphien Herzog Ulrichs und seiner Gemahlin Elisabeth.

Ulrich, Herzog zu Mecklenburg [-Güstrow] (* 5. März 1527 in Schwerin; † 14. März 1603 in Güstrow) war Herzog zu Mecklenburg von 1555/56 bis 1603 und zuletzt Nestor des deutschen Reichsfürstenrates. Hier: Büste im Maßstab 1:1 als Replik der Skulptur vom Herzog-Ulrich-Epitaph im Güstrower Dom. (Foto: Sven Taubert, 2022)
Ulrich, Herzog zu Mecklenburg [-Güstrow] (* 5. März 1527 in Schwerin; † 14. März 1603 in Güstrow) war Herzog zu Mecklenburg von 1555/56 bis 1603 und zuletzt Nestor des deutschen Reichsfürstenrates. Hier: Büste im Maßstab 1:1 als Replik der Skulptur vom Herzog-Ulrich-Epitaph im Güstrower Dom. (Foto: Sven Taubert, 2022)
Eine der interessanten Vitrinen im Stadtmuseum war die mit den verschiedenen Gips-Varietäten. (Foto: Sven Taubert, 2022)

Der Nachmittag stand ganz im Zeichen des Güstrower Domes und seiner wertvollen reichen Ausstattung mit den einzigartigen steinernen Wandbildwerken aus der Florisschule sowie dem spätgotischen Flügelaltar.

Bemerkenswert umfassend und detailreich recherchierte kunsthistorische Erläuterung zu den steinernen Wandbildwerken leistete Dr. Carsten Neumann – hier besonders hervorzuheben die Epitaphien Herzog Ulrichs und seiner Gemahlin Elisabeth.

Dr. Carsten Neumann vor dem Herzog-Ulrich-Monument (Foto: Sven Taubert, 2022)
Dipl.-Rest. Hendrik Seipt (Foto: Sven Taubert, 2022)

Dr. Dieter Pocher wandte sich mit seinen kunstgeschichtlichen Betrachtungen dem großen spätgotischen Retabel im Altarraum zu.

In dichter Folge hörten die Exkursionsteilnehmer:innen Vorträge zu den verwendeten Natursteinen und ihrer Herkunft durch die Geologen Dr. Arnold Fuchs und Dipl.-Geologe Michael-Christian Krempler. Im Anschluss behandelten die ausführenden Restauratoren Boris Frohberg, Hendrik Seipt und Jan Hamann eingehend die Restaurierung des Borwinmonumentes des Dorotheenepitaphes, des Ulrichmonumentes und der Kanzel. Dennoch blieb genügend Zeit für eine Diskussion vor den Originalen im Domchor.

Tag 3 im Doberaner Münster

Der dritte Exkursionstag war der Münsterkirche in Bad Doberan gewidmet. Diese birgt eine unvergleichbare polychrome mittelalterliche Ausstattung aus der Zisterzienserzeit.
Hier erläuterten der Kustos Martin Heider und die Kunsthistorikerin Dr. Kaja von Cossart den Kelchschrank, den Flügelaltar, das Triumphkreuz und die rekonstruierte Innenraumfassung. In die Besichtigung eingeschlossen war auch das Fürstenepitaph, ein Werk der flämischen Florisschule, sowie die Galerie der hochwertigen Grabplatten aus der Klosterzeit. Dipl.-Rest. Boris Frohberg wusste hier die genauen fachlichen Details, da er seinerzeit mit der Bearbeitung der kolossalen Grabplatten beauftragt war.

Die kunstgeschichtliche Einordnung zum mittelalterlicher Kelchschrank mit Schnitzplastik und unrestaurierter Polychromie erhielten wir von der Kunsthistorikerin Dr. Kaja von Cossart. Unglaublich frisch wirken die unrestaurierten Bemalungen auf den Türflügel-Innenseiten (Foto: Sven Taubert)
Boris Frohberg vor den mittelalterlichen Grabplatten (Foto: Sven Taubert)
Dr. Ralf Lehr (Foto: Sven Taubert)
Dr. Gerhard Schmager bei seinem Vortrag (Foto: Sven Taubert)

Neben Erläuterungen zur Baugestalt konnten die Teilnehmer:innen auch das Beinhaus mit seinen Malereien von Karl Christian Andreae aus der Düsseldorfer Malerschule über mittelalterlichen Resten erleben. Die Restaurierung und Klimatisierung des außergewöhnlichen Gebäudes standen hier im Fokus der Betrachtungen und fachlicher Erörterung.
Am Nachmittag referierte Dr. Ralf Lehr über die Geologie und Herkunft der Säulen und Kapitelle (Spolien) im sogenannten Oktogon des Münsters.

Nach erfrischender Kaffeepause im Vortragssaal der Münsterverwaltung vermittelte Dr. Gerhard Schmager die Ergebnisse aus seinem Projekt "Auswirkungen des Klimawandels auf Ausstattung und Bauwerk des Doberaner Münsters“. Eine dichte Datenlage ermöglichte ihm interessante Aussagen zur bauklimatischen Situation in dem großem Münsterbauwerk.
Der Kustos des Doberaner Münsters Martin Heider trug die Ergebnisse seiner Auswertung der Archivalien zur Bauwerkserhaltung vom 16.-18. Jahrhundert in beeindruckender Faktendichte und mit großer Sachkenntnis vor. Diese akribische Aktenforschung stellt einen außerordentlich wichtigen Beitrag zur Erforschung der Baugeschichte des Zisterzienserklosters und seiner Münsterkirche dar.

Tag 4 in Semlow

Am letzten Tag der Fachexkursion stand die Dorfkirche in Semlow mit ihrer außergewöhnlichen Ausstattung im Mittelpunkt.

Dipl. Rest. Elke Kuhnert, Amtsrestauratorin vom Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern, erklärte hier die Baugeschichte und -befunde sowie die Konservierung und Restaurierung der umfangreichen figürlichen Innenraumfassung im Schiff von Carl Julius Milde aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts – ein Maler der Nazarenerschule.

Dipl. Rest. Elke Kuhnert verbrachte vor vielen Jahren hier viel Zeit bei ihrer Diplom-Aufgabe. (Foto: Sven Taubert)

Anschließend konnten die beiden unlängst durch Dipl.-Rest. Boris Frohberg restaurierten Wandepitaphe der Familie von Behr aus Gotländer Sandstein näher betrachtet werden. Diese sind zu Beginn des 16. Jahrhunderts von Künstlern, die zuvor im Güstrower Dom tätig waren, geschaffen worden.

Zum Abschluss ging es noch auf einen Spaziergang durch den englischen Landschaftspark, für den Gustav Meyer – ein Schüler und Mitarbeiter Lennés sowie erster Gartendirektor Berlins - die Entwürfe geschaffen hatte. Kunstwissenschaftler Dr. Michael Lissok (Greifswald) erläuterte in fesselnder Art die Geschichte und die Zusammenhänge von Park, Herrenhauses (Architekt: F. W. Buttel) und der erhaltenen Ökonomiebauten.

Nach vier hoch informativen und äußerst spannenden Exkursionstagen konnten die Teilnehmenden mit einer Vielzahl neu gewonnener Eindrücke und Einblicke die Heimreise aus dem Norden der Republik antreten.

Teilnehmer:innen der VDR-Exkursion „Farbe im Raum“ im Mai 2022 (Foto: Sven Taubert)

Unser Dank gilt allen Teilnehmer:innen der Exkursion. Vor allem aber sagen wir herzlichen Dank an unsere Referent:innen, die uns in ihre detailreichen Erfahrungen Einblick gegeben und somit dazu beigetragen haben, unser Verständnis und die fachlichen Hintergründe für einige der hochrangigsten Kulturdenkmale in Mecklenburg-Vorpommerns zu vertiefen.
Besonders Herrn Dr. Dieter Pocher sind wir zu Dank verpflichtet. Einige wichtige Begegnungen in Güstrow wären ohne ihn nicht möglich gewesen, einige Türen verschlossen geblieben. Herzlichen Dank dafür!

Mecklenburg-Vorpommern ist immer eine Reise wert!
Boris Frohberg (Hauptorganisator der Fachexkursion)
und Sven Taubert (VDR-Präsident)

Der Bericht liegt auch als PDF vor und enthält in dieser Form noch weiteres Bildmaterial. Dajer stellen wir diesen für Interessierte an dieser Stelle zum Download zur Verfügung:
Exkursions-Nachbericht (PDF)