Stand der Arbeiten an Notre Dame de Paris

Nach dem schweren Brand von Notre Dame de Paris am 15. April 2019 hatte der VDR seine Unterstützung beim Wiederaufbau der Kirche angeboten. Die Diplom-Ingenieurin Professor Dr. Barbara Schock-Werner wurde […]

Nach dem schweren Brand von Notre Dame de Paris am 15. April 2019 hatte der VDR seine Unterstützung beim Wiederaufbau der Kirche angeboten. Die Diplom-Ingenieurin Professor Dr. Barbara Schock-Werner wurde zur Beauftragten der Kulturstaatsministerin für die Koordinierung der Hilfsangebote aus Deutschland für den Wiederaufbau der Kathedrale Notre Dame in Paris (BKM-Koordinatorin Wiederaufbauhilfe Notre Dame Paris) ernannt. An Wiederaufbau sei in Paris noch immer nicht zu denken, sagt Barbara Schock-Werner nach ihrem zweiten Besuch an der Unglücksstelle.

"Noch sind die Architekten vor Ort mit den schwierigen Sicherungsarbeiten beschäftigt. Ein Team muss aufgebaut, eine Baustelleneinrichtung geschaffen werden. Solange der Bereich unter den Gewölben nicht betreten werden kann, sind konkrete Aufbautätigkeiten gar nicht möglich. Wir versuchen gerade, einen dauerhaften Kontakt zu unseren französischen Kollegen aufzubauen, der es uns ermöglichen wird, zu erkennen, welche Fachleute wann gebraucht werden könnten, um auf spezielle Anfragen von französischer Seite reagieren zu können."

"Aktuell erreichte mich heute die Nachricht, dass man sich mit Rücksicht auf den Welterbestatus der Kathedrale entschlossen habe, diese so aufzubauen, wie sie vor dem Brand ausgesehen hat. Außerdem hat man eine Agentur gegründet, die die Arbeit organisieren soll und ausländische Hilfsangebote koordinieren. Mit ihr werde ich baldmöglichst Kontakt aufnehmen."

Das Zelt auf den Vorplatz mit den geborgenen Steinen und Balken aus dem Innenraum (Foto: B. Schock-Werner)

Bericht zum Stand der Arbeiten an Notre Dame de Paris vom Juli 2019 von Prof. Barbara Schock-Werner:

"Mein zweiter Besuch in der beschädigten Kirche Notre Dame de Paris fand am 14.6.2019 statt. Als Teil der Delegation des Besuchs von Ministerpräsident Laschet als deutsch-französischer Kulturbevollmächtigten war es mir möglich, die ansonsten streng abgeschirmte Baustelle erneut zu besuchen.
Die Führung übernahm Philippe Villeneuve, der verantwortliche Architekt. Es ist beeindruckend, was in den fünf Wochen seit meinem letzten Besuch vor Ort geleistet wurde. Die Baustelle ist eingezäunt, die Straße an der Nordseite durch eine Absperrung zweigeteilt, so dass die Bewohner in ihre Häuser gehen können und dennoch Platz für die Arbeiten bleibt. Ein Teil der herabgestürzten Steine und Hölzer konnte bereits geborgen werden und wurde auf dem Vorplatz unter Zelten deponiert.

Noch immer darf der Bereich unter den Gewölben von Keinem betreten werden. Villeneuve sieht die Gefahr, dass weitere Steine abstürzen könnten und fürchtet weiterhin, dass auch die Stabilität der noch vorhandenen Gewölbe keineswegs gesichert ist. Die völlig durchnässten Wände könnten sich in der kommenden Hitze des Sommers durch Austrocknung verändern oder Schaden nehmen. Als Schutzmaßnahme für Gewölbe und Wände ist geplant, in jeder Stützachse einen der mächtigen Leimbinder, die jetzt an der Nordseite liegen, auf die Hochschiffmauern zu legen und diese dadurch zu stabilisieren. Die Oberseite des Gebäudes ist genau vermessen worden und wird kontrolliert, damit jede Bewegung registriert werden kann. Durch Streben aus Metall, die im Moment angefertigt und dann individuell angepasst werden, sollen die Strebebögen daran gehindert werden, einen zu großen Druck auf die Wände auszuüben. Durch die fehlende Auflast besteht diese Gefahr durchaus.

Erst nach diesen Sicherungsmaßnahmen werden die noch auf dem Dach befindende Lasten, das Gerüst und die restlichen verkohlten Balken abgenommen werden können. Die im Kircheninneren gespannten Stoffnetze sollen durch Metallnetze ersetzt werden, damit der Aufenthalt im Inneren gesichert möglich sein wird.

Alle Fenster im Obergaden sind ausgebaut und die Fensteröffnungen durch hölzerne Aussteifungen gesichert. Das Fensterglas hätte im oberen Bereich kleine Blasen geworfen, sei aber ansonsten unbeschädigt gewesen. Die Querhausrosen sind von außen und innen durch Netze geschützt. Sie scheinen ohne Schäden davongekommen zu sein, genaues kann man aber erst sagen, wenn man sie auch von der Innenseite betrachten kann.

Der abgedeckte Chor mit den hölzernen Aussteifungen in den Fensteröffnungen (Foto: B. Schock-Werner)

Das Gewölbejoch am Ende des nördlichen Querhauses ist eingestürzt, weil ein brennender Dreiecksbinder des Dachstuhls umgekippt ist und das Gewölbe durchschlagen hat. Dass der nördliche Giebel dadurch abkippte, konnte verhindert werden, weil er an eine rasch eingebrachte Holzkonstruktion rückverankert wurde. Das Gewölbe im Chor hat ein relativ kleines Loch. Ein darüber stehender Pfosten ist brennend durch das Gewölbe gebrochen und liegt nun verkohlt im Innenraum des Chors.

Ohne Brandschaden ist das 1710–14 nach Entwürfen von Robert de Cotte entstandene Chorgestühl davongekommen. Es ist aber völlig durchnässt und verrußt. Villeneuve fürchtet, dass es bald von Schimmel befallen werden könnte. Noch kann man aber auch daran nicht arbeiten. Ein Gleiches gilt für die ehemals goldene Kanzel, die schwarz von Ruß ist. Alle begehbaren Bereich – Seitenschiffe, Chorumgang und Kapellenkranz – werden täglich abgesaugt, damit die Belastung des Innenraums durch den bleihaltigen Staub nach und nach reduziert werden kann.

Die Orgel konnte zwar gerettet werden, muss aber, weil sie völlig verstaubt ist, auseinandergenommen und restauriert werden. Die gotische Madonna wurde unter einem mobilen Schutzdach geborgen und steht heute in einer der südlichen Seitenkapellen. Ihre Erhaltung, sie ist ohne jeden Schaden geblieben, erscheint noch mehr als ein Wunder, wenn man sieht, dass der Bereich unmittelbar vor der Säule, durch den herabstürzenden Vierungsturm beschädigt wurde. Im unterirdischen Raum steht zwar kein Wasser mehr, er ist aber, wie große Teile der Mauern, völlig durchnässt.

Insgesamt muss man Architekten, Bauleitern und Handwerkern großen Respekt für ihre sorgfältige Arbeit zollen."

Die zur Aussteifung der Wände bestimmten Holzleimbinder in der jetzt zweigeteilten Straße (Foto: Schock-Werner)